Auf, auf, heute erkunden wir einen Gletscher! Die Gletscher bisher waren alle sehr beeindruckend – fĂŒr uns aber doch mehr Mittel zum Zweck. Wir haben sie auf unserem Weg von A nach B ĂŒberquert, aber uns nicht wirklich die Zeit genommen, die Eismassive bis ins Detail zu bestaunen.

Wie gewohnt starten wir um 7.30 Uhr in den Tag, danach wird schnell gefrĂŒhstĂŒckt und alles auf den Motorsegler gebracht. Da wir heute nicht ĂŒber die Berge in eine andere Bucht laufen, sondern nach der Tagestour hierher zurĂŒckkehren und mit dem Segler ĂŒbersetzen werden, hĂ€tten wir das Camp auch am Nachmittag abbauen können. Aber wir entscheiden uns dagegen, da das Risiko, dass in der Zwischenzeit ein EisbĂ€r die Zelte fĂŒr uns abbaut, zu groß ist.

Wir laufen durch das Inland zum Gletscher. Eine gute Entscheidung, denn am Strand wĂ€ren wir sicher nicht auf eine Netzweide gestoßen – eine der vier Baumarten Spitzbergens. Die Netzweide ist sehr selten und wĂ€chst Ă€ußerst langsam, nur wenige Millimeter pro Jahr. FĂŒr Nicht-Botaniker ist sie nicht als Baum zu erkennen. Flach ĂŒber dem Boden wachsend wird sie nur wenige Zentimeter groß und spendet weder Schatten noch könnte man mit ihr ein wĂ€rmendes Feuer entfachen. Auch sie ist den rauen Bedingungen auf dem Archipel hoffnungslos unterlegen – wenn die Pflanze es schafft, in einem Jahr ein einziges Blatt wachsen zu lassen, ist das schon ein sensationeller Erfolg.

Bereits bei der Anfahrt am Vorabend hatten wir uns bei der Suche nach einem Lagerplatz ĂŒber die vielen großen Camps am Ufer gewundert. Eine echte Überraschung, nachdem wir die letzten Tage nur eine Handvoll Menschen gesehen haben. Auf unserem Weg zum Gletscher kommen wir nĂ€her an sie heran, aber viel los ist dort noch nicht. Alle sind wesentlich grĂ¶ĂŸer als unseres – jedes sieht so aus, als ob es fĂŒr mehrere Wochen Aufenthalt am Gletscher errichtet wurde. Auf dem RĂŒckweg wollen wir am Strand entlang laufen und unseren Nachbarn einen Besuch abstatten.

Anderthalb Stunden nach unserem Aufbruch stehen wir am Fuß des Gletschers, schnallen uns die Steigeisen unter die Schuhe und beginnen mit dem Aufstieg.

Der Gletscher bietet eine phĂ€nomenale Kulisse: In Richtung KĂŒste die Abbruchkante vor der tiefblauen Bucht, in Richtung Berg die endlos wirkende EisflĂ€che mit ihren zahlreichen ZerklĂŒftungen, senkrecht abfallenden Spalten und tief unter der OberflĂ€che leise gurgelnden BĂ€chen.

Je weiter wir auf den Gletscher kommen, desto wĂ€rmer wird es. T-Shirt und kurze Hose wĂŒrden hier fast reichen. Zur Erfrischung fĂŒllen wir unsere Trinkflaschen mit frischem, kaltem Gletscherwasser – die zahlreichen Seen und BĂ€che bieten hierzu ausreichend Gelegenheit. Wir genießen den Anblick der Seen und des unvergleichlich klaren Wassers. Diese Bilder werden sich fĂŒr immer in unsere GedĂ€chtnisse einbrennen.

Nachdem wir die vielfĂ€ltigen EindrĂŒcke der Gletscherkulisse mit all ihren Facetten in Erinnerung und auf Fotochip gespeichert haben, bereiten wir uns langsam auf den Abstieg vor. Denn in der Bucht warten der Motorsegler und eine mehrstĂŒndige Überfahrt in den benachbarten Ekmanfjord auf uns. Geplant ist ein Nachtlager auf der Insel Coraholmen.

Etwa eine Stunde spĂ€ter haben wir wieder festen Boden unter den FĂŒĂŸen. Nach einem letzten, wehmĂŒtigen Blick hoch auf den von der Sonne hell erleuchteten Gletscher gehen wir weiter bis zum Strand und wandern in Richtung Camp.

Die Menge und GrĂ¶ĂŸe der Zeltlager hier ist beeindruckend. Vom Schiff aus haben wir immer mal wieder ein Zelt an der KĂŒste stehen sehen – aber an diesem Strand fĂŒhlt man sich fast schon wie in Rimini (nur ohne die Liegen, den heißen Sand und sonnenverbrannte BierbĂ€uche).

Wenn man mitten in der Arktis auf Menschen trifft, gehört ein kurzer Plausch zum guten Ton. Wo kommt man her, gibt es Probleme und wie die PlĂ€ne fĂŒr die nĂ€chsten Tage aussehen. So halten wir kurz an jedem Camp an und unterhalten uns mit Leuten, die ihre Kajaks vorbereiten, gerade zu Mittag essen oder das Wetter und die Landschaft genießen. Mitten in der Wildnis treffen Jugendgruppen, Forscher und Kajakfahrer aufeinander, gesellen sich zusammen und haben eine schöne Zeit.

Weiter geht`s. Unser Ziel fĂŒr die nĂ€chste Übernachtung ist die kleine Insel Coraholmen. Sie liegt im Eckmanfjord und gilt als „ganz besonderer Ort“ auf Spitzbergen. Als die Insel in Sicht kommt, wissen wir, warum man so von der Insel spricht: Strand und Insel sind karminrot, sogar das Wasser in StrandnĂ€he ist rötlich eingefĂ€rbt – ein Bild, dass sehr an NASA-Fotos von der MarsoberflĂ€che erinnert. Coraholmen hat seinen Namen von den vielen Korallen-Resten, die hier zu finden sind. Der benachbarte Gletscher hat wĂ€hrend seines Wachstums große Mengen Meeresboden vor sich hergeschoben und kurz vor dem gegenĂŒberliegenden Ufer aufgetĂŒrmt.

Dass wir auf Boden stehen, der frĂŒher tief unter der WasseroberflĂ€che verborgen war, wird ĂŒberall sichtbar: Die Zelte stehen auf feinen Korallen-StĂŒcken, Muschelschalen sind nicht nur am Strand zu finden, und wenn man genau hinsieht, kann man ĂŒberall Versteinerungen von Meeresbewohnern finden.

Viele kleine Seen auf unterschiedlichsten Höhen prÀgen die Insel. Die rötliche Erde vom Meeresboden ist so fein, dass das Wasser nicht ablaufen kann und die eindrucksvolle Seenlandschaft entstehen lÀsst.

Nach dem Aufbau des Camps und dem Abendessen brechen wir zu einer kleinen Erkundungstour auf. Nachtwanderung! Hurra! Blöderweise ist es auch gerade, kurz vor Mitternacht, taghell und wir brauchen weder Fackeln noch Taschenlampen …

Aber einen Vorteil hat es: Man sieht einfach mehr. Und das lohnt sich hier auf jeden Fall! Eine Landschaft, wie sie kein Bild und nicht tausend Worte beschreiben können. Das muss man selber sehen. Selber erfahren. Wir wollen mehr!

Tag 5
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 14 Kilometer
Benötigte Zeit: 6 Stunden

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Ein Kommentar zu “Vom Eisplanet zum Mars”

  1. Annette sagt:

    Mein Neid wĂ€chst von Tag zu Tag :-((. Fantastische Bilder und EindrĂŒcke.
    Super Jungs.
    Annette