Bastian am Samstag, 21. August 2010

Privet!
Am Abend der Ankunft hat sich die Neugierde auf die verlassene russische Siedlung Pyramiden beim Großteil der Gruppe doch sehr in Grenzen gehalten – nach den 27 Kilometern von Lyckholmdalen bis hierher kein allzu großes Wunder.

Umso grĂ¶ĂŸer ist die Freude am Morgen danach, als unser Guide Nicola uns mit den Worten „Ein Guide fĂŒhrt uns durch die Siedlung – wenn ihr schnell aufsteht, könnt ihr mitkommen!“ und einem Augenzwinkern aus den Kojen scheucht.

Am Steg wartet Mischa bereits auf uns. Der junge Russe lebt seit Juni in Pyramiden und fĂŒhrt als Guide interessierte Besucher durch die Straßen, erzĂ€hlt spannende Details aus der Vergangenheit der Bergbau-Siedlung und schließt uns einige der leerstehenden HĂ€user auf.

Eine gespenstische Stille liegt ĂŒber der Siedlung. Doch das war nicht immer so: In Spitzenzeiten wohnten mehr als 1000 Menschen in Pyramiden, zwischen „London“, dem HĂ€userblock fĂŒr die MĂ€nner, und „Paris“, dem Block fĂŒr die Frauen, herrschte reges Treiben. Rund um das „Crazy House“ sowieso, denn dort lebten Familien mit Kindern und im nĂ€heren Umkreis bekam kein Arbeiter ein Auge zu.
Die heutigen Bewohner Pyramidens kann man an zwei HĂ€nden abzĂ€hlen: Als Mischa hierher kam, waren außer ihm nur drei andere Menschen in der Siedlung – das schweißt zusammen. Im Moment sind noch sechs Arbeiter hier, mehr werden es wohl auch nicht werden.

1998 wurde der Abbau von Kohle eingestellt, Pyramiden evakuiert und (fast) alle Bewohner in ihre HeimatlĂ€nder zurĂŒck gebracht. Seitdem steht die Siedlung bis auf wenige HĂ€user leer. Ein Ă€lteres Paar kĂŒmmert sich bis heute noch um das Hotel mit Bar, Souveniershop und Museum, die restlichen Bewohner sind immer wieder wechselnde Guides und Arbeiter. Ab und an quartieren sich auch mal Forscher fĂŒr lĂ€ngere Zeit hier ein, das ist jedoch die Ausnahme.
FĂŒr die Zukunft soll geplant sein, die Siedlung wieder aufblĂŒhen zu lassen. Die Arbeiter setzen aktuell die Wasser- und Kommunikationsleitungen wieder in Stand, Hafen und Straßen werden gepflegt, HĂ€user vor weiterer Zerstörung geschĂŒtzt und gesĂ€ubert. In einer alten Halle wird Kohle fĂŒr Heißwasserboiler gelagert, die Stromversorgung soll ein Dieselgenerator ĂŒbernehmen, der auch heute schon friedlich surrend abseits des Wohnviertels steht.

Mischa nimmt uns mit auf eine Reise in eine andere Zeit: Es ist zwar erst zwölf Jahre her, dass die letzten „Kumpel“ in der Kantine gegessen haben, die letzten Kinder ĂŒber den Spielplatz getobt sind und im Kino der letzte Film gezeigt wurde – aber dennoch erwecken die GebĂ€ude teilweise den Eindruck, man brauche nur einmal feucht durchwischen, die Bilder gerade rĂŒcken und es könne weitergehen als sei nichts geschehen.

Die FĂŒhrung endet im Pyramiden-Museum – oder dem, was man in Pyramiden unter einem Museum versteht. Der Eintritt kostet nichts, was auch ganz gut so ist. Die Anzahl der Exponate ist gering, die QualitĂ€t bescheiden. Letzteres haben allerdings nicht zuletzt zerstörungswĂŒtige „GĂ€ste“ zu verantworten und Geld fĂŒr eine Restaurierung gibt es nicht.

Jetzt heißt es erstmal „EindrĂŒcke sacken lassen“. FĂŒr uns BootsschlĂ€fer gibt es ein erstes, fĂŒr den Rest der Truppe ein zweites FrĂŒhstĂŒck. Kraft tanken fĂŒr den Aufstieg auf den Berg, dem die Siedlung ihren Namen verdankt: Pyramiden.
Dabei wird klar, welch eine enge Bindung man nach sieben Tagen Wandern mit dem Land eingeht: Als das Ausflugsschiff LongĂžysund im Hafen anlegt und Menschenmassen von Bord an uns vorbei in die Stadt strömen, wird spöttisch ĂŒber die „Touristen“ gefeixt. Wir, als inzwischen (mindestens!) halbe Spitzbergener, dĂŒrfen das!

Rund einen Kilometer ragt der Gipfel ĂŒber den Meeresspiegel hinaus, fĂŒr einen Aufstieg kann man vier, fĂŒr den Abstieg zwei Stunden einplanen. So viel Zeit haben wir leider nicht mehr, denn eine lĂ€ngere Überfahrt zum nĂ€chsten Camp liegt auch noch vor uns.
So kommen wir nur auf eine Höhe von etwa 400 Metern, legen eine kurze Rast im Windschutz abgerutschten Gerölls ein und genießen die Aussicht auf den Gletscher Horbyebreen und die davor liegende Bucht Petuniabukta.

Wieder im Hafen angekommen, werden wir schon vom KapitĂ€n erwartet. Zuversichtlich, was die folgenden Stunden und unsere Vorstellung eines Camps angeht, sieht er nicht gerade aus. Und das hat seinen Grund: Den Plan fĂŒr die folgende Überfahrt können wir im wahrsten Sinne des Wortes in den Wind schreiben. Am anvisierten Zeltplatz ist Anlanden dank Wellengang unmöglich.
Kurze Krisensitzung unter Deck, es geht direkt weiter zur nĂ€chsten Etappe. Aus geplanten zwei Stunden werden sechs, Zeit genug zum Durchatmen, eine Kleinigkeit aus der BordkĂŒche zu essen und die vergangenen Tage in aller Ruhe Revue passieren zu lassen – solange der Magen nicht sein Missfallen ĂŒber die aufbrausende See zum Ausdruck bringt.

Als kleines Bonbon und Ausgleich fĂŒr den entfallenen Landgang hat KapitĂ€n Christopher etwas ganz Besonderes auf Lager. Er geht vom Gas und biegt am Kapp Fleur de Lys nach Steuerbord ab. Die kleine Bucht ist fĂŒr ihre Schönheit und die vielen dort nistenden Vögel bekannt. Direkt am Ufer entdecken wir eine alte Mine, noch komplett mit HĂŒtte, kurzer Verlade-Strecke und einem am Strand liegenden Schiff. Schade, dass wir keine Zeit fĂŒr einen Landgang haben. Hier gibt es sicher einiges zu entdecken!

Langsam geht der achte Tag zu Ende. Und fĂŒr uns endet diese Reise. Morgens um vier setzen wir mit dem Schlauchboot ein letztes Mal ĂŒber, dieses Mal direkt an den Campingplatz. Unser Zelt steht schon (bzw. noch). Die Dusche erwartet uns. Was fĂŒr ein Luxus!

Die Isfjord-Umrundung hat uns Orte gezeigt, an die wir sonst sicherlich nie gekommen wÀren. Wir sind beeindruckt. Beeindruckt und geschafft. Uns hat die Tour wieder ein wenig geerdet. Uns gezeigt, dass man auch die kleinen Dinge zu schÀtzen wissen sollte.
Spitzbergens Natur ist so vielseitig, hat so viel zu bieten: Gletscher und Tundra, Geröll und MorÀnen. Hohe Gipfel und weite Ebenen. Möwen und Rentiere, Papageientaucher und Robben.

Wer sich die Zeit nimmt, das Land zu entdecken, wird sicher nicht enttÀuscht!

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Bastian am Freitag, 20. August 2010

Ohne Worte: unerwarteter Protein-Nachschub

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Stefan am Donnerstag, 19. August 2010

Nachdem wir den gestrigen Tag an Bord des Motorseglers verbrachten, haben wir fĂŒr heute ein straffes Programm vor uns. Unser Plan ist es, von Lyckholmdalen bis zur stillgelegten russischen Siedlung Pyramiden zu laufen. Auf der Karte lĂ€sst sich nicht genau sagen, wie weit der Weg ist. Nimmt man die Luftlinie, sind es knapp 21 Kilometer. Wir werden also eine Weile unterwegs sein.

Das Wetter ist, im Gegensatz zum Vortag, gut. Der Himmel ist klar und es ist windstill. Wie immer verladen wir die schwere AusrĂŒstung auf den Motorsegler, dieser wird Pyramiden auf dem Seeweg ansteuern und im dortigen Hafen auf uns warten. Der KapitĂ€n veranschlagt fĂŒr die Überfahrt sieben Stunden – eine Herausforderung, die wir natĂŒrlich gerne annehmen. Wir werden versuchen, vor ihm am Ziel zu sein.

Die ersten Kilometer fĂŒhren uns durch ein mehrere hundert Meter breites Tal, das sich zwischen gigantischen Felsmassiven hindurch schlĂ€ngelt. Wir wĂ€hlen unsere Route am Fuß der Berge entlang, dort gibt es weniger FlĂŒsse, die gequert werden mĂŒssen. Immer, wenn wir mehrere TĂ€ler zur Durchquerung zur Auswahl haben, werfen wir einen kurzen Blick auf die Karte. Weiter geht es getreu dem Motto: „An der nĂ€chsten Kreuzung rechts“ oder jemand imitiert ein NavigationsgerĂ€t mit „In acht Kilometern links abbiegen“.
Nach etwa zwei Stunden machen wir eine kurze Pause vor einer steilen Felswand, in dessen Sedimentspalten Eissturmvögel nisten. Hoch ĂŒber unseren Köpfen sind ihre Gelege sehr gut vor NestrĂ€ubern geschĂŒtzt – und das ist auch gut fĂŒr die NestrĂ€uber, denn von unserem Guide Nicola erfahren wir, dass Eissturmvögel eine stark Ă€tzende FlĂŒssigkeit ausspucken können. Eissturmvögel sorgen sehr lange fĂŒr ihre Jungen. Sie werden so lange versorgt, bis sie auffallend fett sind. Die Jungvögel bleiben auch deutlich lĂ€nger im schĂŒtzenden Nest, als das bei anderen Vogelarten der Fall ist. So sind sie optimal auf das (Über-)Leben im Isfjord vorbereitet.

Weiter geht es fĂŒr uns durch Rinddalen, ein sehr schmales und felsiges Tal, durch das ein breiter Gletscherbach fließt. Zu beiden Seiten des Bachs geht es steile Geröllhalden bergauf. Bei jedem Schritt mĂŒssen wir aufpassen, denn nicht alle Steine sind trittsicher. Das Geröll auf Spitzbergen ist hĂ€ufig scharfkantig wie Vulkangestein. Das zieht nicht nur die Schuhe massiv in Mitleidenschaft, bei einem Sturz kann es schnell zu Verletzungen von Haut und Knochen kommen. Es ist daher empfehlenswert, bei solchen Kletteraktionen Handschuhe zu tragen, damit man sich im Fall eines Sturzes abfangen kann, ohne sich an den HĂ€nden zu schneiden.
Soviel zur Theorie …

Irgendwann passiert, womit wir schon seit Beginn unseres Aufenthalts gerechnet haben: Jemand stĂŒrzt, die Steine, an denen er versucht, sich festzuhalten, sind rau und scharfkantig und natĂŒrlich trĂ€gt der Stolpervogel keine Handschuhe, obwohl er wenige Minuten zuvor noch darĂŒber nachgedacht hat, diese anzuziehen …
Ich lerne auf die harte Tour, dass die 600 Gramm schwere Erste-Hilfe-Tasche, die seit Wochen im Rucksack schlummert, eine lohnende Investition war. Beim Sturz habe ich mir einen Schnitt zugezogen. Die Verletzung ist nicht lebensbedrohlich, blutet aber ganz ordentlich. SĂ€ubern, WundrĂ€nder desinfizieren, Verband anlegen – natĂŒrlich alles in Hanglage. Nach der kurzen (unfreiwilligen) Pause geht es sofort weiter, schließlich haben wir noch etwa 15 Kilometer Wegstrecke vor uns.

Das Wetter wird in den nĂ€chsten Stunden stetig schlechter. Wir werden von einer Nebelwand verfolgt und bei jeder kurzen Verschnaufpause fĂ€ngt es nach etwa zwei Minuten an zu nieseln. Wenige Stunden spĂ€ter erreichen wir Pyramiden, die verlassene russische Kohlebergbau-Siedlung im Zentrum Spitzbergens. Nach 27 Kilometern Fußmarsch durch unwegsames GelĂ€nde haben wir unser Tagesziel nach zehn Stunden endlich erreicht.

Nach einer kurzen Runde durch die seit 1998 verlassene Siedlung soll uns der Motorsegler nach Petuniabukta bringen, wo wir unser Lager aufschlagen werden. 40 Minuten brauchen wir fĂŒr die Überfahrt, dann stellt sich jedoch heraus, dass der Seegang ein Übersetzen mit dem Schlauchboot unmöglich macht. Das Risiko zu kentern ist zu groß und in dem eiskalten Wasser sind die Überlebenschancen sehr gering. Die Rettungsweste hĂ€lt einen im Notfall zwar ĂŒber Wasser, aber die Faustregel, die wir in den letzten Tagen schon oft gehört haben, lautet: Überleben kann man in dem eiskalten Wasser nur rund drei Minuten.

Es bleibt also nur eins: Kehrtwende und zurĂŒck in den sicheren Hafen Pyramidens. Der Sturm wird immer stĂ€rker und wir benötigen eine halbe Ewigkeit fĂŒr den RĂŒckweg. Unsere MĂ€gen haben sich inzwischen an den starken Wellengang gewöhnt, ein Fiasko wie am Vortag bleibt uns heute zum GlĂŒck erspart.
ZurĂŒck in Pyramiden können wir unsere Zelte nicht aufbauen, daher schlafen wir zwei auf dem Schiff und ein Teil in GĂ€steunterkĂŒnften im Hafen.

Tag 7
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 27 Kilometer
Benötigte Zeit: 11 Stunden

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Bastian am Donnerstag, 19. August 2010

Ohne Worte: Betreten der Baustelle verboten - Eltern haften fĂŒr ihre Kinder

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Bastian am Mittwoch, 18. August 2010

Ohne Worte: Winter-Taxi

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Stefan am Mittwoch, 18. August 2010

Wir starten folgendes Experiment:
Was passiert, wenn ein klitzekleiner Motorsegler von starkem Wind erfasst wird?

Zutaten:

  • 15 Meter Motorsegler, Ă€lteres Baujahr
  • 4-5 WindstĂ€rken
  • 8 Passagiere
  • 1 KapitĂ€n, mutig

Versuchsaufbau und -ablauf:
Geplant ist eine kurze Schiffsfahrt von unserem Lagerplatz auf Coraholmen nach Lyckholmdalen, anschließend steht eine Bergwanderung auf dem Programm. Bislang hatten wir immer GlĂŒck mit dem Wetter – aber schon oft haben wir vom unberechenbaren Wetter auf Spitzbergen gehört.

Zu Anfang der Fahrt ist die See noch verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig ruhig, wir sitzen gut verpackt auf dem Deck, halten unseren Nasen in den Wind und genießen die traumhafte Aussicht mal ganz ohne krĂ€ftezehrendes Wandern. Lange hĂ€lt die Ruhe jedoch nicht an: Mit jeder Minute wird der Wind stĂ€rker, die See unruhiger, die Gischt bedrohlicher. Und die Passagiere nervöser.

Wir zwei genießen die Abwechslung und stellen uns an den Bug des Seglers. Dort werden wir zwar klitschnass, aber der Blick vom vordersten Bugende hinab auf die tosende See ist atemberaubend. Immer hĂ€ufiger „stĂŒrzt“ der Bug mehrere Meter tief – von einer Welle in die nĂ€chste. Nur Augenblicke spĂ€ter taucht der Bug sogar ins Wasser ein, das Deck wird ĂŒberspĂŒlt.
Als das nicht nur alle paar Wellen, sondern bei jeder Welle passiert, treten auch wir den RĂŒckzug an – ab ins schĂŒtzende Heck, wo wir dem Rest der Gruppe Gesellschaft leisten.

Alle sitzen zusammen im offenen Cockpit des Seglers und klammern sich an das, was sie zu greifen kriegen: Haltegriffe, Seile, Masten. Tabletten gegen Seekrankheit werden herumgereicht.
Einige versuchen zu schlafen, andere sind damit beschĂ€ftigt, das FrĂŒhstĂŒck bei sich zu behalten. Das wird nicht allen gelingen, denn die Windgeschwindigkeit nimmt weiter zu und als wir Kapp WĂŠrn umfahren, verliert die See alle Hemmungen. Der Segler taucht mit absoluter ZuverlĂ€ssigkeit bei jeder Welle unter die WasseroberflĂ€che, mal auf Backbord, mal auf Steuerbord und mal am Bug. Die Richtung, aus der die Wellen kommen, Ă€ndert sich alle paar Minuten. Manchmal scheint es, als kĂ€men sie aus mehreren Richtungen gleichzeitig. Ein irres GefĂŒhl, das sich am ehesten mit einer Mischung aus Achterbahn und Wellenbad vergleichen lĂ€sst – nur, dass man nicht weiß, wann es vorbei ist.

FĂŒnf Stunden spĂ€ter erreichen wir Lyckholmdalen am Dicksonfjord. Endlich wieder festen Boden unter den FĂŒĂŸen!
Die Sonne lĂ€sst sich erst wieder blicken, als wir das letzte Zelt aufgebaut haben und mit dem Kochen des Abendessens beginnen wollen. Dummerweise fĂ€llt uns aber erst jetzt auf, dass wir den Trinkwasserkanister an Bord des Schiffes vergessen haben. Nach dem Abenteuer des heutigen Tages kann uns nichts mehr schocken, also begeben wir uns trotz der durchlebten Strapazen auf die Suche nach sauberem Wasser. Da die kleinen BĂ€che in unmittelbarer Umgebung des Camps ausnahmslos von den GĂ€nsen als Toilette genutzt wurden, bleibt uns nichts anderes ĂŒbrig, als gemeinsam Wasser in den Bergen zu holen.

FĂŒr den Transport zweckentfremden wir einen wasserdichten Transportbeutel, den wir in einen der WanderrucksĂ€cke packen. Etwa eine halbe Stunde von den Zelten entfernt finden wir einen Gebirgsbach, der uns sauber genug erscheint. Wir fĂŒllen den Beutel und verstauen ihn im Rucksack.
Es hĂ€tte nicht zum Tag gepasst, wenn der RĂŒckweg reibungslos vonstatten gegangen wĂ€re. Und so beobachten wir mit wachsender Skepsis die aus dem Rucksack sickernden Tropfen. Ganz so dicht ist der Transportsack wohl doch nicht. Egal, nass ist der Rucksack jetzt eh und der Beutel groß genug. Ein paar Liter werden wir wohl bis ins Lager retten können 


ZurĂŒck im Nachtlager fĂŒllen wir das Wasser schnell in alles um, was definitiv dicht hĂ€lt – schließlich wollen wir fĂŒr den FrĂŒhstĂŒckstee nicht nochmal Wasser holen.
Nach dem Abendessen schlĂŒpfen alle in ihre SchlafsĂ€cke und trĂ€umen vom Wellengang des endenden Tages.

Tag 6
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 27 Kilometer
Benötigte Zeit: 6 Stunden

Die Bildausbeute hĂ€lt sich fĂŒr diesen Tag, dem Wetter sei Dank, in Grenzen …

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Bastian am Dienstag, 17. August 2010

Auf, auf, heute erkunden wir einen Gletscher! Die Gletscher bisher waren alle sehr beeindruckend – fĂŒr uns aber doch mehr Mittel zum Zweck. Wir haben sie auf unserem Weg von A nach B ĂŒberquert, aber uns nicht wirklich die Zeit genommen, die Eismassive bis ins Detail zu bestaunen.

Wie gewohnt starten wir um 7.30 Uhr in den Tag, danach wird schnell gefrĂŒhstĂŒckt und alles auf den Motorsegler gebracht. Da wir heute nicht ĂŒber die Berge in eine andere Bucht laufen, sondern nach der Tagestour hierher zurĂŒckkehren und mit dem Segler ĂŒbersetzen werden, hĂ€tten wir das Camp auch am Nachmittag abbauen können. Aber wir entscheiden uns dagegen, da das Risiko, dass in der Zwischenzeit ein EisbĂ€r die Zelte fĂŒr uns abbaut, zu groß ist.

Wir laufen durch das Inland zum Gletscher. Eine gute Entscheidung, denn am Strand wĂ€ren wir sicher nicht auf eine Netzweide gestoßen – eine der vier Baumarten Spitzbergens. Die Netzweide ist sehr selten und wĂ€chst Ă€ußerst langsam, nur wenige Millimeter pro Jahr. FĂŒr Nicht-Botaniker ist sie nicht als Baum zu erkennen. Flach ĂŒber dem Boden wachsend wird sie nur wenige Zentimeter groß und spendet weder Schatten noch könnte man mit ihr ein wĂ€rmendes Feuer entfachen. Auch sie ist den rauen Bedingungen auf dem Archipel hoffnungslos unterlegen – wenn die Pflanze es schafft, in einem Jahr ein einziges Blatt wachsen zu lassen, ist das schon ein sensationeller Erfolg.

Bereits bei der Anfahrt am Vorabend hatten wir uns bei der Suche nach einem Lagerplatz ĂŒber die vielen großen Camps am Ufer gewundert. Eine echte Überraschung, nachdem wir die letzten Tage nur eine Handvoll Menschen gesehen haben. Auf unserem Weg zum Gletscher kommen wir nĂ€her an sie heran, aber viel los ist dort noch nicht. Alle sind wesentlich grĂ¶ĂŸer als unseres – jedes sieht so aus, als ob es fĂŒr mehrere Wochen Aufenthalt am Gletscher errichtet wurde. Auf dem RĂŒckweg wollen wir am Strand entlang laufen und unseren Nachbarn einen Besuch abstatten.

Anderthalb Stunden nach unserem Aufbruch stehen wir am Fuß des Gletschers, schnallen uns die Steigeisen unter die Schuhe und beginnen mit dem Aufstieg.

Der Gletscher bietet eine phĂ€nomenale Kulisse: In Richtung KĂŒste die Abbruchkante vor der tiefblauen Bucht, in Richtung Berg die endlos wirkende EisflĂ€che mit ihren zahlreichen ZerklĂŒftungen, senkrecht abfallenden Spalten und tief unter der OberflĂ€che leise gurgelnden BĂ€chen.

Je weiter wir auf den Gletscher kommen, desto wĂ€rmer wird es. T-Shirt und kurze Hose wĂŒrden hier fast reichen. Zur Erfrischung fĂŒllen wir unsere Trinkflaschen mit frischem, kaltem Gletscherwasser – die zahlreichen Seen und BĂ€che bieten hierzu ausreichend Gelegenheit. Wir genießen den Anblick der Seen und des unvergleichlich klaren Wassers. Diese Bilder werden sich fĂŒr immer in unsere GedĂ€chtnisse einbrennen.

Nachdem wir die vielfĂ€ltigen EindrĂŒcke der Gletscherkulisse mit all ihren Facetten in Erinnerung und auf Fotochip gespeichert haben, bereiten wir uns langsam auf den Abstieg vor. Denn in der Bucht warten der Motorsegler und eine mehrstĂŒndige Überfahrt in den benachbarten Ekmanfjord auf uns. Geplant ist ein Nachtlager auf der Insel Coraholmen.

Etwa eine Stunde spĂ€ter haben wir wieder festen Boden unter den FĂŒĂŸen. Nach einem letzten, wehmĂŒtigen Blick hoch auf den von der Sonne hell erleuchteten Gletscher gehen wir weiter bis zum Strand und wandern in Richtung Camp.

Die Menge und GrĂ¶ĂŸe der Zeltlager hier ist beeindruckend. Vom Schiff aus haben wir immer mal wieder ein Zelt an der KĂŒste stehen sehen – aber an diesem Strand fĂŒhlt man sich fast schon wie in Rimini (nur ohne die Liegen, den heißen Sand und sonnenverbrannte BierbĂ€uche).

Wenn man mitten in der Arktis auf Menschen trifft, gehört ein kurzer Plausch zum guten Ton. Wo kommt man her, gibt es Probleme und wie die PlĂ€ne fĂŒr die nĂ€chsten Tage aussehen. So halten wir kurz an jedem Camp an und unterhalten uns mit Leuten, die ihre Kajaks vorbereiten, gerade zu Mittag essen oder das Wetter und die Landschaft genießen. Mitten in der Wildnis treffen Jugendgruppen, Forscher und Kajakfahrer aufeinander, gesellen sich zusammen und haben eine schöne Zeit.

Weiter geht`s. Unser Ziel fĂŒr die nĂ€chste Übernachtung ist die kleine Insel Coraholmen. Sie liegt im Eckmanfjord und gilt als „ganz besonderer Ort“ auf Spitzbergen. Als die Insel in Sicht kommt, wissen wir, warum man so von der Insel spricht: Strand und Insel sind karminrot, sogar das Wasser in StrandnĂ€he ist rötlich eingefĂ€rbt – ein Bild, dass sehr an NASA-Fotos von der MarsoberflĂ€che erinnert. Coraholmen hat seinen Namen von den vielen Korallen-Resten, die hier zu finden sind. Der benachbarte Gletscher hat wĂ€hrend seines Wachstums große Mengen Meeresboden vor sich hergeschoben und kurz vor dem gegenĂŒberliegenden Ufer aufgetĂŒrmt.

Dass wir auf Boden stehen, der frĂŒher tief unter der WasseroberflĂ€che verborgen war, wird ĂŒberall sichtbar: Die Zelte stehen auf feinen Korallen-StĂŒcken, Muschelschalen sind nicht nur am Strand zu finden, und wenn man genau hinsieht, kann man ĂŒberall Versteinerungen von Meeresbewohnern finden.

Viele kleine Seen auf unterschiedlichsten Höhen prÀgen die Insel. Die rötliche Erde vom Meeresboden ist so fein, dass das Wasser nicht ablaufen kann und die eindrucksvolle Seenlandschaft entstehen lÀsst.

Nach dem Aufbau des Camps und dem Abendessen brechen wir zu einer kleinen Erkundungstour auf. Nachtwanderung! Hurra! Blöderweise ist es auch gerade, kurz vor Mitternacht, taghell und wir brauchen weder Fackeln noch Taschenlampen …

Aber einen Vorteil hat es: Man sieht einfach mehr. Und das lohnt sich hier auf jeden Fall! Eine Landschaft, wie sie kein Bild und nicht tausend Worte beschreiben können. Das muss man selber sehen. Selber erfahren. Wir wollen mehr!

Tag 5
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 14 Kilometer
Benötigte Zeit: 6 Stunden

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Bastian am Dienstag, 17. August 2010

Ohne Worte: Kunst an Longyearbyen Schule

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Bastian am Montag, 16. August 2010

Tag 4, es lĂ€uft. Wasser aus dem Bach holen, die Spiritusbrenner fĂŒr Tee und Kaffee in Gang bringen, RucksĂ€cke packen und Zelte aufrĂ€umen – die Gruppe arbeitet gut zusammen und jeder weiß, wo er anpacken muss. So ist das FrĂŒhstĂŒck in Windeseile fertig, das Lager gerĂ€umt und zur Abholung durch das Schlauchboot am Strand zwischengelagert.

Auch die zweite Nacht im Lager auf Bohemanflya bot keinen Grund zur Klage. Das beruhigende Rauschen der Wellen hat uns in den Schlaf begleitet, morgens begrĂŒĂŸen uns munter tschirpende Vögel beim Verlassen der Tipis.

Der obligatorische Blick auf das Kartenblatt der Umgebung zeigt: Uns erwarten rund zehn Kilometer Strecke, gipfelwĂ€rts durch einen Taleinschnitt, talwĂ€rts ĂŒber einen Gletscher. In der Bucht Yoldiabukta wird der Motorsegler auf uns warten und uns zum nĂ€chsten Lagerplatz bringen.

Über den Boden kann man sich, nach der Tundra-Tortur am Vortag, wahrlich nicht beschweren. Er ist fest und trocken, die einzige Schwierigkeit besteht darin, zwischen dutzenden kleinen SĂŒĂŸwasserseen einen Weg zu finden, der uns nicht zu weit von unserer Wunschrichtung abbringt. Zum AuffĂŒllen der Trinkwasserflaschen sind die Seen leider gĂ€nzlich ungeeignet: Algen und Schaum am Ufer sprechen nicht gerade fĂŒr die QualitĂ€t des Wassers, vielmehr deuten sie auf gut frequentierte GĂ€nse- und RentiertrĂ€nken hin.

Nach einer guten Stunde treffen wir schließlich auf den ersten sauberen Bach. Das Wasser schmeckt seltsam. Zuerst ist es nur schwer zuzuordnen, bis wir drauf kommen: Eisen. Hinter dem nĂ€chsten HĂŒgel sehen wir unsere Vermutung bestĂ€tigt: Ein rostrotes, beinahe orangefarbenes, ausgetrocknetes Flussbett sticht deutlich aus dem sonst graubraunen Einerlei des Spitzbergen-Bodens heraus.

Am Fuß des angesteuerten Berges angekommen, machen wir das nĂ€chste Etappenziel aus: eine Steingruppe auf dem BergrĂŒcken. Die Schuhe werden nochmal nachgeschnĂŒrt und Überlegungen angestrengt, wie man am einfachsten nach oben kommt – Luftlinie oder in krĂ€fteschonenden Serpentinen.

Der Weg ist steinig, aber wenig beschwerlich. Dutzende Einschnitte in den Berg, oft mit Schnee- und Eisfeldern gefĂŒllt oder von SchmelzwasserbĂ€chen tief in den Fels geschnitten, zwingen uns zu mehr Umwegen als erwartet. Die Rentiere haben es da deutlich einfacher: Sie laufen einfach quer ĂŒber das Eis, wie Spuren eindeutig belegen.
Wir scheuen jedoch das Risiko abzurutschen oder gar einzubrechen und nehmen dafĂŒr die kleinen Umwege gerne in Kauf.

Die ins Visier genommene Steingruppe lassen wir links liegen und suchen uns ein gemĂŒtliches PlĂ€tzchen: Mittagspause. Direkt in Sichtweite eines Felsens, dessen Risse von nistenden Vögeln in Beschlag genommen wurden, packen wir Thermosflaschen, Schokolade und KnĂ€ckebrot aus. FĂŒr den nun kommenden Aufstieg ĂŒber einen kleinen Gletscher können wir die StĂ€rkung gut gebrauchen. Dass nur einen Steinwurf von unserem Rastplatz entfernt vor einigen Jahren ein bedeutender Dinosaurierknochen-Fund gemacht wurde, hĂ€tten wir uns nicht in unseren kĂŒhnsten TrĂ€umen vorgestellt. „Direkt unter einem Platz, den wir jahrelang zum Zelten genutzt haben“, plaudert Guide Nicola aus dem NĂ€hkĂ€stchen. Dass auf Spitzbergen solche Funde gemacht werden, sei keine Seltenheit. Jahrtausendelang seien sie unter dem Geröll versteckt, bis Frost und abrutschendes Gestein sie freilegen. Die Frage ist dann nur, wie lange es dauert, bis ein Mensch sich dorthin verirrt – und den Fund auch meldet.

Nur vom Wind und dem Rauschen eines kleinen Baches begleitet, haben wir die Möglichkeit, die natĂŒrliche Stille und traumhafte Aussicht zu genießen. Bis plötzlich jemand zusammenzuckt: Aus dem Nichts taucht völlig unerwartet ein Schneehuhn nur wenige Schritte entfernt von uns auf. Die hellbraun gefiederten Tiere sind sehr scheu, vertrauen aber auf ihre perfekte Tarnung. So bleiben sie regungslos zwischen den Steinen sitzen, bis die Gefahr vorĂŒber ist. Erst wenn man beinahe auf sie tritt, ergreifen sie die Flucht.

Der „kleine Gletscher“, den wir erwartet hatten, entpuppt sich als Mini-Schneefeld. Viel ist von dem einstigen Eisriesen nicht mehr ĂŒbrig. Wir mĂŒssen fĂŒr den Aufstieg nicht einmal unsere Steigeisen anziehen.
DafĂŒr ist der Abstieg auf der anderen Seite des Berges umso spannender: Laufen wir am oberen Rand noch ĂŒber einer dicke Schicht Schnee und Eis, glauben wir nur wenige hundert Meter weiter das sichere, weil nicht mehr rutschige, Steinfeld erreicht zu haben – bis es uns dann vom einen auf den anderen Schritt beinahe die FĂŒĂŸe wegzieht. Der Gletscher ist gar nicht so weit abgetaut, abgerutschtes Geröll verdeckt nur weite Teile davon. Wohl dem, der dem Ratschlag „Lasst die Steigeisen ruhig noch an“ gefolgt ist 


Je tiefer wir ins Tal vordringen, desto matschiger wird das GelĂ€nde. Aus kleinen Schmelzwasserrinnsalen werden BĂ€che, aus BĂ€chen werden reißende Matschrutschen – nicht besonders breit, aber mit einer Fließgeschwindigkeit, die uns Respekt einflĂ¶ĂŸt. Anderswo verschlingen solche Muren (zugegebenermaßen in anderen Dimensionen) mit ihren ins Tal schießenden Schlammmassen ganze Dörfer, reißen alles mit, was ihnen im Weg steht. Da wir sie nicht ĂŒberspringen können, entscheiden wir uns abermals fĂŒr einen kleinen Umweg. Und der hat neben dem Vorteil, den Muren aus dem Weg zu gehen, noch einen weiteren: Am Rand des Gletschers können wir an mehreren Stellen direkt unter die dicke Eisschicht blicken – beeindruckende Einsichten in eine völlig andere Welt. Eiskalt, stockdunkel und höllisch laut. Mit tosendem Rauschen frisst sich das Schmelzwasser, das kurz unter dem Gipfel nur ein kleines, gurgelndes Rinnsal war, unter dem Gletscher hindurch.

Das Tagesziel, die Bucht Yoldiabukta, konnten wir schon seit dem frĂŒhen Nachmittag sehen – aber zwischen uns und dem traumhaften Strand lag, direkt nach dem Gletscher, auch noch ein breites und langes Matschfeld. Und genau das liegt jetzt vor uns. Wem etwas an seinem Schuhwerk liegt, der wĂ€hlt seine Schritte gut. Oder wechselt auf Gummistiefel.
Zwei Kilometer, ĂŒber den RĂŒcken einer MorĂ€ne und durch das erwĂ€hnte Matschfeld, das kann ja nicht mehr so schlimm sein. Denken wir. Und werden ĂŒberrascht, welche Saugkraft Erde in Kombination mit Wasser ausĂŒben kann – ganz Ă€hnlich unserer Erfahrung in der Tundra.
Kurz vor dem Strand nutzen wir die letzten AuslĂ€ufer einigermaßen klarer SĂŒĂŸwasserbĂ€che, um unsere Steigeisen zu reinigen.

Den KapitĂ€n des Motorseglers hatten wir schon auf halber Strecke angefunkt, so dass sich die Wartezeit in Grenzen hĂ€lt. Und mal ehrlich: Auch wenn einige von uns geschafft und mĂŒde sind – bei strahlendem Sonnenschein, mit dem Blick auf einen Gletscher und großen Eisbergen direkt vor uns verfliegen die wenigen Minuten rascher als uns lieb ist.

Der Rest ist Routine: Rein ins Schlauchboot, raus aus dem Schlauchboot, kurz mit dem Schiff ĂŒbersetzen. Rein ins Schlauchboot, raus aus dem Schlauchboot. Zelte aufbauen, kochen, seelig einschlafen.

God natt & sov godt!

Tag 4
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 11,6 Kilometer
Benötigte Zeit: 6 Stunden

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Bastian am Montag, 16. August 2010

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